Das „Human Factors Training“ ist in der Luftfahrt ein wesentlicher Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Kabinen- und Cockpitpersonal. Im Crew Ressource Management (CRM) werden Kompetenzen, wie zum Beispiel Teamkommunikation und Entscheidungsfindung trainiert. Bereits seit einigen Jahren bietet Lufthansa Aviation Training (LAT) neben den klassischen CRM-Trainings auch Weiterbildungen für Medizinisches Fachpersonal an. Und auch andere Branchen können von den Erkenntnissen der interpersonellen Kompetenzen aus der Aviatik stark profitieren. Frau Beaufort, was ist der Grundgedanke, CRM auf weitere Branchen zu transferieren?
De Beaufort: Der Grundgedanke ist, dass wir voneinander lernen und nicht jede Branche die gleichen Fehler machen bzw. das Rad neu erfinden muss. Die Luftfahrt hat vor fast 50 Jahren aus einem sehr schmerzlichen Vorfall erkannt, wie essenziell der Faktor Mensch und seine vor allem auch interpersonellen Kompetenzen sind, um eine hohe Sicherheit zu gewährleisten. Daher hat sich seitdem einiges in der Luftfahrt verändert, wie die Einführung und Handhabung diverser Checklisten, Verbesserung der Automation und aber vor allem die Initiierung der inzwischen gesetzlich verankerten Trainings im Bereich der interpersonellen Kompetenzen. Im Laufe der Jahre wurden und werden die Trainings immer wieder weiterentwickelt und den Gegebenheiten angepasst, so dass die Luftfahrt in diesem Bereich als Vorbild fungiert und andere Branchen, vor allem Hochzuverlässigkeitsorganisationen, wie es u.a. das Gesundheitswesen darstellt, von den Erfahrungen profitieren können. Denn geschultes Ressourcen Management schafft nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch höhere Effizienz und mehr Kapazitäten, ein stärkeres Teamgefüge mit kreativeren Lösungsansätzen, sowie eine gesteigerte Resilienz und Identität bei den Mitarbeiter:innen.
Worin liegen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Training von Flight Crews und medizinischem Fachpersonal? Werden in den Kursen die gleichen Kompetenzen geschult?
De Beaufort: Die Gemeinsamkeiten liegen in der Sache selbst. Egal, ob ich in einem Team im Flugzeug oder im OP arbeite, in beiden Fällen geht es in erster Linie um die Sicherheit der Passagiere bzw. der Patienten, die ich bestmöglich vor allem mit Hilfe interpersoneller Kompetenzen erreichen kann. Es geht hier also um das Training beispielsweise von Kommunikation, Auftreten, Haltung, Fehlermanagement, Situationsbewusstsein, Stress- und Workloadmanagement,Teamwork, Empathie, Emotionale Intelligenz, Führung und Resilienz. Auch wenn das ein und andere für viele selbstverständlich scheint, wird es oft mangels Trainings und Akzeptanz doch nicht so umgesetzt, wie es für eine gute Sicherheitskultur förderlich wäre. So gibt es beispielsweise inzwischen auch im medizinischen Settings Checklisten, die dann aber leider oft nicht konsequent abgearbeitet werden. Auch so etwas braucht Training, wie wir es bereits seit Jahrzehnten in der Luftfahrt praktizieren und inzwischen seit über 10 Jahren auch anderen Branchen schulen.
Was die Unterschiede zur Luftfahrt anbelangt, so gibt es beispielsweise im OP-Saal personell keine 100%ige Redundanz, wie das im Cockpit der Fall ist. Daher ist es umso entscheidender, interdisziplinäre und interprofessionelle Trainings zur Stärkung und Erweiterung interpersoneller Kompetenzen durchzuführen.
Was genau ist unter dem bereits angesprochenen kompetenzbasierten Training zu verstehen?
De Beaufort: In unseren meist zweitägigen Human Factors Competence Trainings (HFCT) vermitteln unsere Trainer:innen, zum einen das nötige Wissen und gut etablierte Tools aus der Luftfahrt, und zum anderen schaffen sie den Raum, die neu erlernten Kompetenzen gleich in realitätsnahen Szenarien anzuwenden und zu üben. Das schaffen wir, indem wir Beispiele und Übungen aus dem Berufsalltag in das Training integrieren. Die richtige Wahl der Fallbeispiele spielt dabei eine große Rolle, weshalb wir in der Regel Filme und Übungen aus den jeweiligen Arbeitsumfeldern verwenden. Darüber hinaus ist für den Trainingserfolg die richtige Trainerkonstellation enorm wichtig, also die Einbindung von Expert:innen der betreffenden Branche. So ist beispielsweise bei unseren medizinischen Trainings in der Regel immer eine Pilot:in und eine Ärzt:in anwesend, um die für die Teilnehmenden gewünschten und nötigen Kompetenzen möglichst praxisnah darzustellen. Den finalen Transfer in den eigenen Berufsalltag und die Selbstreflektion müssen die Teilnehmenden allerdings selbst leisten.
LAT hat für diese Trainings eine eigene Marke gegründet. Wie kam es zu der Entscheidung, die Aktivitäten unter dem Namen „Human Factors Academy“ zu bündeln und welchen Mehrwert bietet dies?
De Beaufort: Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten so viel Wissen, Kompetenz und Erfahrung rund um den Faktor Mensch aufgebaut und gut funktionierende Tools etabliert, dass sich erfreulicherweise die Nachfrage nach diesem Erfolgsrezept inzwischen auch durch weitere Industrien vergrößert hat. Dabei werden insbesondere Schulungen zu unseren Kernkompetenzen, Sicherheit, Service und Interkulturalität nachgefragt. Das Produkt der Human Factors Kompetenzen wird durch diese Marke für alle Branchen intuitiv greifbarer und erhält eine klarere Sichtbarkeit. - Ich bin davon überzeugt, dass wir so als Vorbild weiterhin und hoffentlich noch mehr, Organisationen bzw. Menschen inspirieren können, den Fokus auf die Stärkung des Faktors Mensch zu richten und vielleicht sogar einen kulturellen Wandel zu bewirken. Denn Teams und Organisationen, die den Faktor Mensch stärken, sorgen für mehr Motivation, eine höhere Arbeitszufriedenheit, Mitarbeiterbindung und am Ende auch für wirtschaftlichem Erfolg.
Welche Produkte werden fortan angeboten?
De Beaufort: Das Produktportfolio besteht aus offenen und inhouse Human Factors Competence Trainings (HFCT) mit dem Ziel, von und mit der Luftfahrt zu lernen. Dazu zählen das HFCT-Individuum für die Auseinandersetzung mit sich selbst, das HFCT-Team für die Herausforderungen, die man in einem Team erleben kann, das HFCT-Leadership für die Besonderheiten, die sich durch die Funktion und Rolle als Führungskraft ergeben und das HFCT-Management für die Sicht der oberen Management-Riege, inklusive des klassischen „Blicks hinter die Kulissen“. Darüber hinaus bieten wir Kurse zu den Themen „Emotionale Intelligenz“, „Notfall-Management“, „Customer & People“, „Haltung und Erscheinung“ oder „Deeskalation“ an, sowie weitere – je nach Auftragsvolumen - maßgeschneiderte Trainings rund um den Faktor Mensch. Auch Coaching-Angebote und Vortragsreihen sind ein Teil unseres Portfolios, so wie die Ausbildung zur Human Factors Trainer:in.
An wen richtet sich das erweiterte Trainingsangebot?
De Beaufort: Der Fokus liegt in erster Linie auf B2B-Kunden. Wir können in Zusammenarbeit mit Unternehmen am besten die branchenrelevanten Trainingsinhalte definieren und anpassen. Das Gesundheitswesen ist dabei auch weiterhin einer unserer größten Schwerpunkte, da wir in den letzten Jahren ein umfangreiches Trainingskonzept entwickelt und durchgeführt haben. Aber auch Unternehmen aus den Bereichen Stromwirtschaft, IT, Stahl, Pharmazie, Chemie, öffentlicher Dienst, Banken, Tourismus, Transport oder Gastronomie zählen schon heute zu unseren Kunden. Kurz und knapp: unsere Trainings richten sich an alle Organisationen und Personen, die interpersonelle Kompetenzen bei sich und ihren Mitarbeitenden stärken möchten.
Die Nachwirkungen von Corona sowie die volatile wirtschaftliche und weltpolitische Lage haben das berufliche und private Miteinander stark verändert. Inwiefern hat das auch einen Einfluss auf die Trainings von LAT?
De Beaufort: Da gibt es verschiedene Aspekte. Zum einen scheint der Bedarf an solchen Trainings, wie wir sie anbieten, gestiegen, da besonders der Wunsch nach einem besseren Ressourcen Management besteht zugunsten einer höheren Resilienz, besserer Stressbewältigung und einem stärkeren Teamzusammenhalt. Zum anderen wurden nach langer Zeit nun auch virtuelle Trainingsformate, Konferenzen, Workshops oder Coachings ermöglicht und eLearning- „Nuggets“ erstellt, als Teil eines „blended“ Trainingsapproach, um mehr Menschen Zugang zu diesen Themen zu ermöglichen. Das ist durchaus eine sinnvolle Erweiterung. Gleichzeitig ist es in Zeiten der Unsicherheit und ständigen Veränderung noch wichtiger, dass die Menschen zu einem Face-to-Face Austausch zusammenkommen, wo möglich. Gerade Aspekte wie Kulturveränderungen, das Entwickeln und der Aufbau von psychologisch sicheren Teams gehen erfahrungsgemäß im „echten“ Leben besser.
Das heißt, in der Zeit von Unsicherheit und Veränderung gewinnt das Training von interpersonellen Kompetenzen umso mehr an Bedeutung?
De Beaufort: Ja, davon bin ich überzeugt. In für uns Menschen schwierigen Zeiten, sei es eine Pandemie, Krieg oder andere Unruhen und Veränderungen, brauchen wir sozialen Zusammenhalt und menschliche Unterstützung. Wir müssen uns um unsere Mitmenschen und Mitarbeitenden kümmern und ihnen helfen, neue Situationen besser zu verstehen, unwiderrufliche Veränderungen zu akzeptieren und die innere Haltung anzupassen. Die Tools und das Erkennen, wie hilfreich es ist, vor allem auch in turbulenten Zeiten Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, erleichtert es, aus einer gefühlten Ohnmacht wieder in die Handlungsfähigkeit zu kommen. Dafür braucht es auch Raum zum Austausch, Empathie, Mitgefühl, mehr wirkliches Zuhören und den Versuch, die u.a. durch die virtuellen Systeme aufgebaute Anonymität wieder abzubauen und persönlichen Kontakt zu fördern. Die Human Factors Trainings tragen dazu bei, Unternehmen und Menschen genau bei dieser Transformation zu unterstützen. Es ist wichtig, die Situation vorrausschauend richtig einzuschätzen und entsprechend zu handeln, um die Menschen und die Organisationen vor schlimmeren Konsequenzen zu schützen. Dadurch kann zudem eine Verbesserung oder gar ein Neustart gelingen.
Frau de Beaufort, vielen Dank für das Gespräch.